mit O-Tönen von Brügge und Texten von Edgar Allan Poe
Sprecher: Julia Knaack, Tomasz Stompor, Advanced Text to Speech Software
Vismarkt, Brügge (Belgien), 15.06. bis 15.09.02 Donnerstags bis Sonntags, 19.00 Uhr (20 min.)
Komposition, Montage & Skript: Steffen&Lars Popp
Produzenten: Kulturhauptstadt Brügge 2002 / Klangparcour (next).wav.
Sendungen Hörspielfassung: 18.10.02, Crossover: Sound, HR2 / 27.02.03, Coburg, 7-Lounge, Cross Art e.V. / 25. bis 28.06.03, Gießen, „Theatermaschine“ / 28.03.03, Newcomer WerkStatt, Deutschlandradio //
QUIET IN THE VALLEY OF UNREST thematisiert Stille und Ruhe, indem es den Hörer im Vismarkt-Klangtempel dem Gegenteil, einer Kollage lauter und harter Klänge, aussetzt. Die Klangskulptur basiert unter anderem auf Geräuschen der Stadt Brügge und Werken Edgar Allan Poes: Silence – A Fabel und dem Gedicht The Valley of Unrest. Diese Texte sind frühe Auseinandersetzungen mit der modernen Ruhelosigkeit, die unser tägliches Stadtleben prägt, und thematisieren auch die akustischen Folgen dieser Hektik. Absolute Stille empfinden wir dank der Gewöhnung an den allgegenwärtigen Lärm als unheimlich und bedrohlich. Am Ende des Klangspiels glaubt man wieder in die angenehme und vertraute Ruhe der Stadt entlassen zu werden – und wird sich nach der Sensibilisierung durch das Hörstück vom Gegenteil überzeugen müssen: Stille ist eine kaum erreichbare Utopie.
Eine CD mit der kompletten Aufnahme in Stereo kann für 7€ Unkostenpauschale zzgl. Porto bei mir bestellt werden.
Presse
WDR3 Hörfunk, 03. August 02 // Studio Akustische Kunst // Demo Mode // Neues aus der Klangkunst: .wav Brügge 2002 // Von Michael Rüsenberg:
Das einzige Brügge-Soundscape im engeren Sinne stammt von Steffen Popp, es ist Bestandteil seiner Komposition QUIET IN THE VALLEY OF UNREST nach und mit einem Text von Edgar Allan Poe, auch hierin der Ästhetik seines Professors Goebbels nicht unähnlich. Allein schon wegen dieser Installation von Steffen Popp empfiehlt es sich, den Besuch auf einen der Tage von Donnerstag bis Sonntag zu legen, den Popps Stück am Fischmarkt erklingt nur jeweils um 19.00 Uhr an den genannten Tagen.
HR2, 18. Oktober 02 // Crossover: Sound // Grachten am Telefon – Klanginstallationen in Brügge // Von Michael Rüsenberg:
Steffen Popp arbeitet so geschickt mit den Texten von Edgar Allan Poe, mit Geräuschen und mit Rhythmen, daß man ihn unwillkürlich fragen muß, ob sich darin auch ein Einfluß seines Lehrers Heiner Goebbels zeigt…
FRANKFURTER RUNDSCHAU, 26. Juni 02 >> Wellenkräuseln: Brügge feiert ein Festival der Klangkunst >> Von Michael Rüsenberg
Gepriesen wäre die Institution, die Klangkunst um ihrer selbst willen organisierte, ohne also den Lärm als unguten Paten einzuspannen. Auch beim Klangkunstfestival in Brügge folgt ein Einführungstext zunächst der schlechten Gewohnheit, die Klangkunst als Therapeutikum für die gequälten Ohren des modernen Großstadtmenschen einzuführen, findet aber dann rasch zur einleuchtenden Metaphernbrücke: .wav – Wellen über den Kanälen. Das Wellenkräuseln auf den Kanälen von Brügge ist ein Grund, warum Touristenschwärme nicht nur im Kulturhauptstadtjahr in die Stadt einfallen – glücklicherweise aber auf wenige Orte sich konzentrieren und etliche stille Winkel lassen. Hier können sich dann die Schallwellen entfalten – in Form eben von Klangkunst, die sich entlang der malerischen Kanäle ansiedelt.
So vernimmt man am Kortewinkel Plattenknistern aus einem Gebüsch und sieht ein Dutzend Vinylscheiben auf dem Wasser dümpeln – Philip Jeck was here! Unter der winzigen Bonifaciusbrug röhrt Scanner (London) aus einer fahl leuchtenden Box den ,Grachtenfahrern sein house-artig rhythmisiertes Atmen zu, was denen kaum auffällt, weil sie nebenan den schönen Hall im Kanaltunnel unter der Gruuthusestraat ausprobiert haben.
Diese Größen der Klangkunst haben schlicht ihr akustisches Logo nach Brügge verpflanzt – um den Preis, dort nicht weiter aufzufallen. Auch David Toop (London) scheint zunächst dieser Marotte erlegen. Der Autor von Ocean of Sound nennt seine Installation an der Cramersbrug Ocean Volumes: alte Bücher liegen auf einer Bambusplattform, der Wind blättert in den Seiten, Klänge von den Beach Boys wehen heran (das Wort „Ocean“ aus ihren Songs), aber auch von Toop selbst, Bambusflöte spielend und Joseph Conrad zitierend, alles elektro-akustisch zerstäubt. Zwar stellte sich seine Assoziation, mit Brügge vor allem Bücher zu verbinden, als unzutreffend heraus, aber die Vision vom Verfall darin gespeicherten Wissens besitzt zumindest Gültigkeit über den Ort hinaus. Schon möglich und durchaus erwünscht, dass zum Ende der Aktion Wind und Wetter auf dem Bambusrost so gewirkt haben werden, dass nichts mehr zu blättern bleibt und dem entsprechenden Sound vom Band der visuelle Bezug fehlt.
Bei Pierre Bastiens Quatuor de becs kommt nichts vom Band, es klingt das, was man sieht: zwei Reiher, Storch, Flamingo, Plattenspieler, alle aus Holz, direkt neben der Entenkolonie am Beginenhof. Eine ausgeklügelte Mechanik bewirkt, dass sie nicht einfach nur die Schnäbel bewegen und an Kontaktmikrofone stoßen, sondern dies in einer polyrhythmischen Verteilung tun, die der Künstler nachvollziehbar als Hommage an Clapping Music von Steve Reich versteht.
Der Platz von Heiner Goebbels in Brügge, der Pavillon im Koningin Astridpark, ist losgelöst von lokalen Bezügen und gut geeignet für konzentriertes Verweilen. Dies erscheint auch angeraten, wenn dort zur vollen Stunde achtkanalig ein elektro-akustisches Feuerwerk herabfällt: Platons Timaios in sechs Sprachen, ursprünglich eine Auftragskomposition zur Wiedereröffnung des Centre Pompidou und für .wav lediglich erweitert um einen niederländischen Teil. Timaios, daraus das Kapitel über die Entstehung der Zeit, wird Sprache für Sprache linear vorgetragen, in Form einer sechsteiligen Suite, mit jedem Sprachwechsel rückt das Arrangement weiter. Alle Instrumentalklänge sind – kaum merklich – aus Sprache digital destilliert und transformiert, verteilt auf ein plakatives Netz aus Klangflächen und Klangpunkten, die kreuz und quer durch den Raum schießen.
Goebbels‘ Tätigkeit in Brügge ist primär eine organisatorische. Es trägt zum Reiz von .wav nämlich bei, dass Arbeiten aus drei europäischen Bildungsstätten präsentiert werden, darunter auch von seinen Studenten vom Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen. Darunter steht die dichte Collage von Steffen Popp am Fischmarkt in enger Verwandtschaft zu Goebbels‘ Verfahren, Text (auch hier Edgar Allan Poe), Geräusch (aus Brügge) und Musik zu kontrastieren, während Hanna Linn Wiegel und Lena-Franziska Wicke ihre Arbeiten vollständig aus ihren Orten entwickeln. Wiegel wandelt Straßengeräusche, also Luftschwingungen, in Wasserwellen um, Wicke leitet Unterwasserklänge aus der Gracht auf zwei Boxen in einer Telefonzelle. Es ist schlicht betörend, die Boote von dort drinnen passieren zu sehen, ihnen aber unter der Wasseroberfläche zuzuhören. Wer zudem dem Klingeln nachgibt und den Hörer abnimmt, hat eine ätherische Frauenstimme am Ohr.
Vom Gesang der Sirenen inspiriert ist auch die wirkungsvolle Lautsprecheranordnung She Maj 8 von Eavesdropper, einem jungen Belgier, an der Schleuse Coupure. Wo einst „die Matrosen sich in die Arme der frivolen Damen der Coupure warfen“, wie das Programmheft schamhaft raunt, werden nun einzelne Frauenstimmen an den Mauern dieses stillen Hafenbeckens entlanggeführt, mischen sich mit den Soundmarks der Stadt, immer wieder Glocken und Kutschen. Eavesdropper ist einer Option sehr nahe, die niemanden einfallen mochte: Seit der Versandung des Zwin im 16. Jahrhundert ist Brügge keine Hafenstadt mehr. Welch wundervolle Illusion hätte sich geboten, mit den Klängen des nahen Hochseehafens Zeebrugge die verträumten Grachten zu beschallen! Bill Fontana wasn’t here.
Brügge, bis 15. September.