Das ist zweifellos eine der bedeutensten Errungenschaften dieser globalisierten Gesellschaft. Eine totale und endgültige Zensur ist jetzt praktisch unvorstellbar. Die einzige Gefahr ist, dass sich die frei zirkulierende Information nicht mehr überprüfen lässt und dass wir eines nicht fernen Tages Informanten werden. Wir sprachen darüber. Informanten, die es gut meinen, mehr oder weniger kompetent, mehr oder weniger parteiisch, die damit gleichzeitig zu Erfindern und Schöpfern von Information würden und sich die Welt jeden Tag neu ausmalen. Vielleicht kommen wir so weit, dass wir die Welt nach unseren Wünschen beschreiben und diese dann für die Wirklichkeit nehmen.
Um das zu verhindern – falls wir es für nötig halten, denn schließlich ist eine erfundene Information bestimmt nicht ohne Charme – muß man endlose Vergleiche anstellen. Und das ist todlangweilig. Ein einziger Zeuge genügt nicht, um die Wahrheit zu beweisen.
Vielleicht ist es gar nicht nötig, alles zu löschen. So wie ich in meiner Datei mit dem Befehl »Suchen« ein bestimmtes Wort aufrufen und mit einem Mausklick aus allen Dateien löschen kann, warum soll man sich da nicht auch eine elektronische Zensur vorstellen können, der es gelänge, nur ein Wort oder eine bestimmte Wortfolge verschwinden zu lassen, dies aber auf sämtlichen Rechnern des Planeten? Welche Worte würden unsere elektronischen Diktatoren dann wohl auswählen? Auf eine Gegenoffensive muss man natürlich immer gefasst sein. Es ist das alte Spiel von Angriff und Verteidigung, auf einem anderen Gebiet. Und wir können uns auch ein neues Babel vorstellen, das plötzliche Verschwinden von Sprachen, Codes und sämtlichen Verschlüsselungen. Welches Chaos!
Umberto Eco/Jean-Claude Carrière: Die große Zukunft des Buchs. München: dtv, 2011, S. 202 und 205
UNformation (Jean-Claude Carrière über Informanten, Wahrheit und Zensur)
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