Die Algorithmisierung der Literatur

Der Trend ist unverkennbar: Im Juni berichtete ich über das Buch, das den Leser liest. Im Juli dann folgte ein Test mit der Automatischen Literaturkritik. Kürzlich erst ging mein Experiment mit der Stilanalyse der FAZ online. Nun läuft mir im Litflow-Magazin für die nächste Literatur ein Artikel über den Weg, der sich schonmal Gedanken über die Folgen der Literatur-Algorithmisierung macht. Denn hat man irgendwann genug Daten, werden Vorhersagen möglich. Wissen die Konzerne heute schon sehr genau, was ich mag und kaufe (und bombardieren mich entsprechend), experimentieren sie bereits auch mit der Vorhersage meines Bewegungsverhaltens mittels  Smartphone-Tracking. Wird dann der nächste Schritt sein, was ich schreibe und lese: In nächster Zukunft?; hier ein Zitat aus dem Artikel:

Nehmen wir an, ich hätte ein Programm auf meinem Handy, das mir nicht nur sagen könnte, wo ich morgen bin, sondern auch, was ich morgen lese. Dann könnte ich heute schon über das berichten, was morgen die FAZ schreibt. Ich hätte auch den neuen Roman von Rainald Goetz schon vor seiner Veröffentlichung gelesen, mit einer Abweichung von etwa zwanzig Seiten.

Bis allerdings Computer auch zu Storytellern, Bestsellerautoren gar werden, soll es ja noch 15 Jahre dauern. Obwohl sie schon anfangen, uns die Freunde in den social networks wegzuschnappen. Wer nicht so lange warten mag: Mit Iamus gibt es immerhin bereits jetzt ein Programm als Urheber zeitgenössischer Musik. Und mit Nimblebooks steht bereits ein Publisher für Ebooks bereit, deren Content auf Basis selbstgewählter Topics von einem Programm frei zusammengesammelt/-kombiniert/-kopiert wird. Could Your Next Book Be Written By A Machine? fragen sich manche dann eben doch schon oder rufen mal wieder die Revolution aus: How Algorithmically Created Content will Transform Publishing. Und in zwei Jahren schon könnten mit Googles Augmented-Reality-Brille Glass (und neuerdings auch den entsprechenden Smart Gloves nach Vorbild des Kinofilms Minority Report) die ersten Cyborg-Autoren in Sichtweite sein.

Wer wissen will, welche Folgen es hat, wenn von und mit Texten nur noch algorithmisch gedacht wird (und warum es mit einem neuen Urheberrecht allein nicht getan ist), dem sei unbedingt der hellsichtige Essay von Philipp Theisohn zur Lektüre empfohlen: Literarisches Eigentum: Zur Ethik geistiger Arbeit im digitalen Zeitalter.

Dazu sei abschließend ein Exzerpt aus dem Rowland erlaubt:

Die Zukunft: vor allem unwägbare Größe, Risiko ohne Grenzen. Mit ihr jedoch wird heute das meiste Geschäft gemacht. Deshalb die Wahrscheinlichkeitsrechnung, die Wettervorhersage, die Prognosen und Hochrechnungen, die Expertenkommissionen und Demoskopien, die neuen Propheten: der Weg von Muspel.

Zuviel Wissen um die Zukunft aber ist für die Entschlossenheit zur Tat eher Ballast – keiner versteht das besser als ich. Kein Wunder, dass die meisten Ergebnisse in den Aktenschränken verstauben. Wie kann derjenige, der um die Zukunft weiß, sie noch verändern wollen? Wenn die Zukunft bekannt wird, gibt es keine Alternativen, zwischen denen man wählen könnte. Wer prophezeit, lügt immer, selbst wenn er die Wahrheit spricht, meint ein arabisches Sprichwort. Futuristische Unschärferelation: je genauer die Vorhersage, desto unwahrscheinlicher ihr Eintreffen. Deshalb die Flut aus der Vergangenheit, das Chaosspiel der Zeichen: der Weg von Nifl.

Gibt es einen dazwischen?


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