Das Zuvorkommende (V): Die UNtopie der Kunst

Das Unmögliche hat nichts mit der Utopie zu tun. Utopie ist Projektion eines Imaginären ins Unwirkliche einer Zukunft die es nicht geben wird. Das Un-Mögliche ist demgegenüber eine Figur des Wirklichen. Kunst, die sich dem stellt, ist eine weder idealistische noch realistische Parade des Un-Möglichen im Hier und Jetzt. (…) Das heißt aber nicht, das Unmögliche sei als nur scheinbar unmöglich zu erweisen und derart ins Reich des Möglichen aufzunehmen. Das Unmögliche ist und bleibt unmöglich; nur als solches ist es das, was wirklich zählt, zum Beispiel die Machtlosigkeit, die Gerechtigkeit, die Freiheit, die Gabe und all das, was wirklich zählt, in der Kunst und im wirklichen Leben. (…) »Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen« (Friedrich Nietzsche). Und ich möchte hinzufügen: der Schrecken der Wahrheit ist die Wahrheit der Kunst.

 

Kunst sagt keine Zukunft voraus, und sie nimmt auch kein zukünftiges Geschehen vorweg. Schon allein deshalb nicht, weil sie nichts aussagt, sondern etwas anzeigt. (…) »Sie kündigt an, weil sie anfängt.« In dem Maße, wie sie sich nicht auf etwas stützt, das schon da ist, gibt sie dem Anfang eine Stimme, imdem sie »eine anfängliche Entscheidung aufruft.« Derart wahrt sie das Kommen eines Horizonts, den man auch Hoffnung nennen könnte.
Wilfried Dickhoff: Das Zuvorkommende. Eine Kunstkritik. Zürich-Berlin: Diaphanes, 2009, S. 30f. und 48

Siehe auch Kunstorte zu Kirchen – mit Ideenterrorismus sowie Die Wahrheit der Kunst im Zeitalter des Digitalen.


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